01. Juli 2015

Eltern, vertraut Euch und Euren Kindern!

Magazin Pablo Interview - Ausgabe 3-2015

Die Gesellschaft ist stetig im Wandel begriffen! Schon seit Jahren gibt es einen Trend von Groß- zu Klein- bis Kleinstfamilien, es gibt immer mehr Alleinerziehende, Patchworkfamilien und sich verändernde Familienkonstellationen. Das wirkt sich auch auf die Erziehung der Kinder und den Blick auf diese aus. Marita Korn-Bergmann, Fachanwältin für Familienrecht und Mediatorin in Aschaffenburg und Andreas Purschke, Diplom-Psychologe und Leiter der Aschaffenburger Caritasberatungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern, bemerken das aufgrund ihrer langjährigen Berufs- und Beratungserfahrung im familiären Bereich und nehmen diesbezüglich gravierende Veränderungen wahr. Daher entschlossen sie
sich zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit und halten gemeinsame Fachvorträge und Schulungen,
um das Augenmerk der Erziehenden von Fachanwälten und Psychologen auf ein wachsendes Ungleichgewicht zu lenken.

Frau Korn-Bergmann, Herr Purschke, ist eine Familie zu gründen heutzutage gesellschaftlich eigentlich noch erstrebenswert?

Andreas Purschke: Nach vielen Umfragen steht das Streben nach einer Familie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach wie vor an oberster Stelle, sodass ich diese Frage ganz klar mit Ja beantworten kann.

Marita Korn-Bergmann: Auch ich erlebe es in meiner Praxis so, dass nach wie vor ein hohes Bedürfnis der Menschen nach einer möglichst heilen Familie in einem sicheren Rahmen besteht. Viele Menschen streben danach, sich einen kleinen, für sie überschaubaren und gestaltbaren Raum zu schaffen, auf der Suche nach emotionaler, aber bestenfalls auch finanzieller Sicherheit.

Was hat sich denn heute im Vergleich zu früher verändert?

Andreas Purschke: Seit Jahren gibt es immer höher werdende gesellschaftliche Anforderungen, auch in Bezug auf die Familien. Dazu kommen hohe eigene, teils überzogene Anforderungen der Eltern an sich selbst und nahezu eine Optimierungssucht in allen Lebensbereichen, nicht zuletzt die Kinder betreffend. Zudem erlebe ich in meinem Berufsalltag eine wachsende Unsicherheit bei Eltern, was das Richtige ist für ihre Kinder und was nicht. Was das Beste für ihr Kind ist, können und sollen eigentlich die Eltern entscheiden, bei
Bedarf gerne unter Zuhilfenahme einer (kostenlosen) Beratungsstelle wie der unseren. Kindergarten, Kita, Schule oder
das Jugendamt können wichtige Aspekte aufzeigen, aber entscheiden sollten in der Regel die Eltern.

Marita Korn-Bergmann: Ich erlebe eine zunehmende Aufdrängung in die Erziehungshoheit der Eltern durch staatliche Organe. Unter Umständen werden auch staatliche Zwangsmaßnahmen eingesetzt, die nicht immer gerechtfertigt und notwendig sind. Klar, das Jugendamt beispielsweise steht in einer schwierigen Doppelrolle: Einerseits hat es Beratungsaufgaben und kann und soll Familien in familienrechtlichen Angelegenheiten beraten und Hilfen wie Erziehungsbeistände oder sozialpädagogische Familienhilfen anbieten.
Auf der anderen Seite hat es einen Eingriffsauftrag, der bis zur plötzlichen Inobhutnahme eines Kindes geht, wenn unmittelbare,
konkrete Gefahr für das Kindswohl besteht. Ich würde mir sehr wünschen, dass diese beide Funktionen sich nicht unter dem Dach eines Organs, dem Jugendamt, befindet. Zu groß ist die Gefahr, bei Scheitern der angebotenen, aber freiwilligen Hilfen, eine Eingriffsmaßnahme subjektiv für geboten zu halten.

Haben sich die heutigen Kinder denn verändert, oder der gesellschaftliche Blick auf diese?

Marita Korn-Bergmann: Ich habe oft das Gefühl, Kinder von heute müssen einfach funktionieren wie ein Roboter. Sie werden gemessen, verwogen, schon frühzeitigst auf ihren IQ oder andere Begabungen hin getestet, und alles, was nicht ganz der Norm entspricht, wird schon fast als krank bezeichnet. Nicht jede etwas später einsetzende Entwicklung bedeutet sogleich, es besteht Förder-oder Therapiebedarf oder weist sogar auf ein sträfliches Versagen der Eltern in der Erziehung hin.

Andreas Purschke: Meines Erachtens haben viele Kinder heute eine deutlich niedrigere Frustrationstoleranz als früher. Doch auch viele Eltern sind sehr unsicher geworden, was genau sie ihren Kindern noch zumuten können und dürfen. Die heutigen Kinder werden viel mehr miteinander verglichen, auch mehr beobachtet, gefördert und gefordert. Richtiger Förderbedarf besteht aber eigentlich erst,
wenn das Kind selbst einen Leidensdruck hat oder wenn seine Umwelt sehr unter einem Verhalten oder einer Spätentwicklung leidet.

Was ist Ihr Appell an die Eltern von heute?

Andreas Purschke: Trauen Sie Ihren Kindern etwas zu, vertrauen Sie in ihre Entwicklung, in ihre Fähigkeiten und Stärken, und sehen Sie Schwächen nicht unbedingt als etwas Schlechtes. Sie gehören zu jedem Menschen dazu, auch zu den kleinen Menschen, unseren Kindern. Muten Sie Ihren Kindern noch etwas zu, und räumen Sie Ihnen nicht sofort alle Steine aus dem Weg. Ihr Kind schafft so viel auch ganz alleine! Lassen Sie Individualität auch in der Entwicklung zu und seien Sie gewiss: Auch ein in allen Bereichen über die
Maßen gefördert und gefordertes Kind hat keine Garantie auf ein erfolgreiches, glückliches Leben. Meine Erfahrung zeigt, aus den größten Rowdies oder übermäßig schüchternen Kindern entwickeln sich oft im Laufe der Jahre wertvolle Mitglieder der Gesellschaft, die ihren Weg gehen und ein eigenständiges, selbstverantwortliches Leben führen.

Marita Korn-Bergmann: Eine breite bildungsnahe, finanziell abgesicherte Mittelschicht gibt heute in der Gesellschaft sehr stark vor, was sie glauben, was richtig ist und was nicht, sowohl im Erziehungs- als auch im Lebensstil. Lassen Sie sich davon nicht allzu sehr beeinflussen und lenken, sondern vertrauen Sie auf sich und auf Ihre natürliche Elternschaft. Ganz klar ist: Je unsicherer ein Mensch in sich selbst ist, umso schneller bewertet, beurteilt oder verurteilt er andere!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die vollständige Veröffentlichung finden Sie unten in dem zum Download stehenden PDF.

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